Freitag, 19. September 2014

Meine Stasi-Akte und ein Treppenwitz

Dieser Tage erhielt ich Post von der Gauck-, nein, der Jahn-Behörde, nein, von "Dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik". Rund zweieinhalb Jahre nach Antragstellung hat er mir das zugeschickt, was über mich auffindbar war. Deutlich schneller als beim Trabant. Verschiedene Personen haben demnach unter diversen Decknamen Berichte über mich geschrieben, eine denkwürdige Mischung aus zutreffenden Einschätzungen, absurden Übertreibungen und banalster Banalität. Bei der Behörde kann ich die Aufdeckung der Klarnamen beantragen. Und jetzt kommt er, der hübsche Treppenwitz: "Für eine zügige Bearbeitung Ihres Antrags wäre die Angabe der eventuell zu vermutenden Klarnamen hilfreich. Es wird dann geprüft, ob die Voraussetzungen für die Bekanntgabe der Klarnamen vorliegen."
Für mich liest sich das so, als ob eine Behörde, zu deren Aufgaben mittelbar die Aufarbeitung des Denunziantentums gehört, ihrerseits zur Denunziation auffordert. Das ist zumindest extrem unsensibel. Wobei, ich sach ma: Verdächtig ist, wer kurze Haare trug oder wer lange Haare trug oder wer dieses zu verbergen suchte.
Ob es mit dem Datenschutzrecht vereinbar ist, wenn jemand auf bloßen Verdacht hin der Behörde die Namen realer Personen mitteilt, die von der Behörde dann ja irgendwie gegengecheckt und mithin weiterverarbeitet werden müssen? Es sind immerhin personenbezogene Daten, die einen Rückschluss auf mutmaßliche politische Überzeugungen oder auf Arbeitgeber ermöglichen. Diese Frage habe ich auch dem Bundesbeauftragten gestellt und ebenso seinem Kollegen für Datenschutz. Ich bin gespannt, ob und wie sie antworten.

Montag, 30. Juni 2014

Bücherwand: "Nichts muss sich ändern. Die Lösung für das Leid der Erde". Das neue Buch Matthias Pöhms

"Nichts muss sich ändern" – was wie eine Slacker-Hymne klingt oder wie ein hoffnungsverlorenes Liebeslied  Bernd Begemanns, wird im Untertitel zum Programm für die Rettung der Menschheit vor sich selbst. Matthias Pöhm, Rhetorik-Ratgeber von Format und Reputation, spürt in seinem neuen Werk Gedanken nach, die er als Verheißung schon in seinen beiden Büchen über den Glücksdurchbruch verkündet hat. Den Weg der Selbsterkenntnis, den diese Bücher vorschlagen, verbreitert er jetzt zur Magistrale ins Glück für die gesamte Menschheit.

Der Glücksdurchbruch laut Pöhm erfolgt, wenn jemand Dinge akzeptiert, statt sie zu bewerten. Alles, was geschehe, passiere, weil ein Universum der Liebe damit etwas mitteilen wolle. Sowie ein Mensch das erkenne, sei er nicht mehr im Kreislauf aus körperlicher Existenz und Wiedergeburt gefangen, sondern werde als Geistwesen Teil des universellen Ganzen, einer Welt, die jetzt schon perfekt sei. Unser Glück und unser Verhalten als Individuum werde aber vor allem von Befürchtungen und Hoffnungen beinflusst, was andere von uns dächten. Das Ich erscheint so als ständiger Versuch, Höherwertigkeit vorzutäuschen und Minderwertigkeit zu verschleiern. Es bestehe nur in den Augen anderer und nicht in Wirklichkeit. So wie dem Einzelnen, ergehe es auch ganzen Nationen und anderen Gemeinschaften. Kern der Identität einer Nation sei, was andere von ihr dächten. So wie der Einzelne den Glücksdurchbruch anstreben sollte, so auch die Gesellschaft. Er sei das Paradies auf Erden und der Endpunkt menschlicher Erfahrungen. So gelinge der Durchbruch in die dritte Realität, die einzig real existierende, eine Matrix, die alles andere nur erträume – die Realität der materiellen Welt der Menschen, Häuser, Landschaften  ebenso wie die paranormale Realität der Geistwesen.

Für die lange Reise Richtung Endziel schlägt Pöhm Schubmaßnahmen vor, wie die völlige Umgestaltung der Schulen, die Aufhebung des Erbschaftsprinzips, des Urheberrechts, das Ende des Drogenverbots, den Wegfall des bisherigen Strafsystems. Er polemisiert gegen Religionen, die Ehe, das Kinderkriegen. Seine Thesen begründet er mit Nahtod-Erfahrungen, Erkenntnissen der Quanten-Physik, mit der Ähnlichkeit der Erlebnisse aller erleuchteten Menschen, mit dem Tod als dem Ende individueller Existenz vor dem Hintergrund der Ewigkeit und mit dem Volksmund: Es kommt, wie es kommt.Das schürft nicht tief, sondern auch durch etliche Wiederholungen eher in die Breite, hat aber auch nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit, wie das schwer zugängliche "Immortality Defended" des kanadischen Philosophen John Leslie, das sich ebenfalls an der Unsterblichkeit versucht. Pöhm spricht  eher im Dialog mit seinen Lesern, mit Beispielen und in griffigen Sätzen: "Sie haben bisher versucht, auf einem Hologramm-Felsen ein echtes Haus aufzubauen" erinnert an die Wirksprache seiner Rhetorik-Bücher.

Persönliche Erlebnisse und Abneigungen verdichten sich bei Pöhm zu einer Glaubensidee, die er auch in spirituellen Seminaren  vermittelt. Dass er in anderen Seminaren seinen Schülern dabei hilft, mittels Rhetorik in den Augen anderer gut dazustehen, diesen von ihm selbst nicht thematisierten Widerspruch löst er im letzten Kapitel des Buches dadurch auf, dass ein Es aus ihm heraus agiere, ein höherer Kanal, aus dem die Dinge sprudelten. So wird Pöhm immer mehr zum Gesamtkunstwerk, in dem alles irgendwie zueinander passt. In 85 Prozent der Ehen sei zumindest einmal seitengesprungen worden, rechnet er hier vor, um in einem anderen Buch und in Pick-up-Artist-Seminaren der Kunst des Verführens zu huldigen. "Für Termine, Daten und Preise besuchen Sie ..."

Und was stimmt nun?
Ist alle Realität nur eingebildet? Das Buch und dessen Rezension, Bachs Werke und die der Beatles nur eine kollektive Halluzination, das Kammerorchester nur existent in der Gehirnkammer des Betrachters, und auch diese ist nur geträumt? Der Autor scheint es zu glauben, der Rezensent glaubt es eher nicht. So hat Bestand, was vor 2.400 Jahren Protagoras geschrieben haben soll: "Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht, noch, was ihre Gestalt sei. Die Kräfte, die mich hindern, es zu wissen, sind zahlreich, und auch ist die Frage verworren und das menschliche Leben kurz." Aber immer wieder nett, darüber nachzusinnen.

Freitag, 17. Januar 2014

Schreibtipp: Männlich? Weiblich? Über Genus, Lesegenuss und Augenmaß.

Ein Dauerbrenner in Sprachdiskussionen ist die "geschlechtergerechte" oder "geschlechterneutrale" Sprache. Also die um sich greifende Gepflogenheit, die "Bürgerinnen und Bürger, Parteifreundinnen und Parteifreunde" auch bei der x-ten Wiederholung zu nennen oder statt von Studenten von Studierenden zu schreiben. Auch die Straßenverkehrsordnung ist seit dem 1. April 2013 in einer weitgehend geschlechterneutralen Neufassung in Kraft. Unter die Räder gekommen sind dabei zum Beispiel die Radfahrer: "Wer mit dem Rad fährt …" heißt es seither.
 
 Beim Luther-Disput der Tageszeitung Thüringer Allgemeine stritt dieser Tage auch Wolf Schneider mit. Der große alte Mann des Journalismus findet geschlechtergerechte Sprache "Schwachsinn". Das starke Wort ist sicherlich dem Streitgespräch geschuldet. Oder besser gedankt, denn im Kern hat Schneider recht. Das grammatische Geschlecht (Genus) hat nichts mit dem natürlichen Geschlecht (Sexus) zu tun. Sprachwissenschaftler nennen es generisches Maskulinum, wenn ein grammatisch männliches Wort sowohl Frauen als auch Männer bezeichnet, weil das biologische Geschlecht unbekannt oder irrelevant ist. Das generische Maskulinum ist geschlechtsneutral!

Am Beispiel:
"Eine Gruppe von Wissenschaftlern" – die Formulierung schließt Frauen nicht etwa aus. Natürlich können in der Gruppe auch Frauen sein. So wie "die Führungskraft" vom grammatischen Geschlecht her weiblich ist, aber dennoch keine Frau sein muss.

Feministinnen vertreten die Meinung, dass "die Frauen" es satt hätten, "mitgemeint" zu sein. Sprache helfe dabei, Ungleichheit zu verfestigen. Im Ergebnis der Weltverbesserung durch Sprachvorschriften können Texte entstehen, die zwar nach feministischer Auffassung geschlechtergerecht sind, aber ansonsten so sperrig, dass sie niemand freiwillig liest. Und Sie wollen ja gelesen werden! Andererseits fühlen sich subjektiv vielleicht tatsächlich Leserinnen nicht angesprochen, auch wenn das generische Maskulinum objektiv niemanden ausschließt. Damit das Ihren Texten nicht passiert, empfehle ich: Gehen Sie mit Augenmaß vor.
 
Am Beispiel:
Wenn zu Ihrer Veranstaltung 120 Kunden erschienen sind, ist es vermutlich unsinnig, von "120 Kundinnen und Kunden" zu schreiben, die vielleicht gar von "15 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen" betreut wurden. Die zusätzlichen Formulierungen blähen den Text auf und haben für den Leser keinerlei Nutzen.
 
Wenn das biologische Geschlecht hingegen hingegen die Verständlichkeit Ihres Textes fördert oder sonstwie relevant für den Inhalt ist: Nennen Sie es.
 
Am Beispiel:
"Viele halten den PC-Support für eine rein männliche Domäne. Zu Unrecht, wie eine Stichprobe im User Help Desk in Musterstadt ergeben hat: Unter den 103 Support-Spezialisten waren 49 Frauen."
Wenn die eingangs genannte "Gruppe von Wissenschaftlern" nur aus Frauen bestehen sollte, schreiben Sie natürlich "eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen". Und wenn es für den Tenor Ihres Artikels wichtig ist, wie viele Männer und Frauen in der Gruppe waren, können Sie natürlich auch das schreiben.
 
Manchmal ist es auch schlicht ein Gebot der Höflichkeit, beide biologische Geschlechter zu nennen. Zum Beispiel in einer Anrede der "lieben Leserinnen und Leser".
 
Also: Schreiben Sie mit Augenmaß. Und seien Sie darauf gefasst, dass in ideologisch aufgeladenen Gender-Mainstreaming-Diskussionen eben jenes leicht verloren geht. Wenn Sie ein ganzes Medium redaktionell betreuen, bietet sich ein Hinweis im Impressum an, dass Sie aus Gründen der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichten.