Montag, 30. Juni 2014

Bücherwand: "Nichts muss sich ändern. Die Lösung für das Leid der Erde". Das neue Buch Matthias Pöhms

"Nichts muss sich ändern" – was wie eine Slacker-Hymne klingt oder wie ein hoffnungsverlorenes Liebeslied  Bernd Begemanns, wird im Untertitel zum Programm für die Rettung der Menschheit vor sich selbst. Matthias Pöhm, Rhetorik-Ratgeber von Format und Reputation, spürt in seinem neuen Werk Gedanken nach, die er als Verheißung schon in seinen beiden Büchen über den Glücksdurchbruch verkündet hat. Den Weg der Selbsterkenntnis, den diese Bücher vorschlagen, verbreitert er jetzt zur Magistrale ins Glück für die gesamte Menschheit.

Der Glücksdurchbruch laut Pöhm erfolgt, wenn jemand Dinge akzeptiert, statt sie zu bewerten. Alles, was geschehe, passiere, weil ein Universum der Liebe damit etwas mitteilen wolle. Sowie ein Mensch das erkenne, sei er nicht mehr im Kreislauf aus körperlicher Existenz und Wiedergeburt gefangen, sondern werde als Geistwesen Teil des universellen Ganzen, einer Welt, die jetzt schon perfekt sei. Unser Glück und unser Verhalten als Individuum werde aber vor allem von Befürchtungen und Hoffnungen beinflusst, was andere von uns dächten. Das Ich erscheint so als ständiger Versuch, Höherwertigkeit vorzutäuschen und Minderwertigkeit zu verschleiern. Es bestehe nur in den Augen anderer und nicht in Wirklichkeit. So wie dem Einzelnen, ergehe es auch ganzen Nationen und anderen Gemeinschaften. Kern der Identität einer Nation sei, was andere von ihr dächten. So wie der Einzelne den Glücksdurchbruch anstreben sollte, so auch die Gesellschaft. Er sei das Paradies auf Erden und der Endpunkt menschlicher Erfahrungen. So gelinge der Durchbruch in die dritte Realität, die einzig real existierende, eine Matrix, die alles andere nur erträume – die Realität der materiellen Welt der Menschen, Häuser, Landschaften  ebenso wie die paranormale Realität der Geistwesen.

Für die lange Reise Richtung Endziel schlägt Pöhm Schubmaßnahmen vor, wie die völlige Umgestaltung der Schulen, die Aufhebung des Erbschaftsprinzips, des Urheberrechts, das Ende des Drogenverbots, den Wegfall des bisherigen Strafsystems. Er polemisiert gegen Religionen, die Ehe, das Kinderkriegen. Seine Thesen begründet er mit Nahtod-Erfahrungen, Erkenntnissen der Quanten-Physik, mit der Ähnlichkeit der Erlebnisse aller erleuchteten Menschen, mit dem Tod als dem Ende individueller Existenz vor dem Hintergrund der Ewigkeit und mit dem Volksmund: Es kommt, wie es kommt.Das schürft nicht tief, sondern auch durch etliche Wiederholungen eher in die Breite, hat aber auch nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit, wie das schwer zugängliche "Immortality Defended" des kanadischen Philosophen John Leslie, das sich ebenfalls an der Unsterblichkeit versucht. Pöhm spricht  eher im Dialog mit seinen Lesern, mit Beispielen und in griffigen Sätzen: "Sie haben bisher versucht, auf einem Hologramm-Felsen ein echtes Haus aufzubauen" erinnert an die Wirksprache seiner Rhetorik-Bücher.

Persönliche Erlebnisse und Abneigungen verdichten sich bei Pöhm zu einer Glaubensidee, die er auch in spirituellen Seminaren  vermittelt. Dass er in anderen Seminaren seinen Schülern dabei hilft, mittels Rhetorik in den Augen anderer gut dazustehen, diesen von ihm selbst nicht thematisierten Widerspruch löst er im letzten Kapitel des Buches dadurch auf, dass ein Es aus ihm heraus agiere, ein höherer Kanal, aus dem die Dinge sprudelten. So wird Pöhm immer mehr zum Gesamtkunstwerk, in dem alles irgendwie zueinander passt. In 85 Prozent der Ehen sei zumindest einmal seitengesprungen worden, rechnet er hier vor, um in einem anderen Buch und in Pick-up-Artist-Seminaren der Kunst des Verführens zu huldigen. "Für Termine, Daten und Preise besuchen Sie ..."

Und was stimmt nun?
Ist alle Realität nur eingebildet? Das Buch und dessen Rezension, Bachs Werke und die der Beatles nur eine kollektive Halluzination, das Kammerorchester nur existent in der Gehirnkammer des Betrachters, und auch diese ist nur geträumt? Der Autor scheint es zu glauben, der Rezensent glaubt es eher nicht. So hat Bestand, was vor 2.400 Jahren Protagoras geschrieben haben soll: "Was die Götter angeht, so ist es mir unmöglich, zu wissen, ob sie existieren oder nicht, noch, was ihre Gestalt sei. Die Kräfte, die mich hindern, es zu wissen, sind zahlreich, und auch ist die Frage verworren und das menschliche Leben kurz." Aber immer wieder nett, darüber nachzusinnen.