Freitag, 17. Januar 2014

Schreibtipp: Männlich? Weiblich? Über Genus, Lesegenuss und Augenmaß.

Ein Dauerbrenner in Sprachdiskussionen ist die "geschlechtergerechte" oder "geschlechterneutrale" Sprache. Also die um sich greifende Gepflogenheit, die "Bürgerinnen und Bürger, Parteifreundinnen und Parteifreunde" auch bei der x-ten Wiederholung zu nennen oder statt von Studenten von Studierenden zu schreiben. Auch die Straßenverkehrsordnung ist seit dem 1. April 2013 in einer weitgehend geschlechterneutralen Neufassung in Kraft. Unter die Räder gekommen sind dabei zum Beispiel die Radfahrer: "Wer mit dem Rad fährt …" heißt es seither.
 
 Beim Luther-Disput der Tageszeitung Thüringer Allgemeine stritt dieser Tage auch Wolf Schneider mit. Der große alte Mann des Journalismus findet geschlechtergerechte Sprache "Schwachsinn". Das starke Wort ist sicherlich dem Streitgespräch geschuldet. Oder besser gedankt, denn im Kern hat Schneider recht. Das grammatische Geschlecht (Genus) hat nichts mit dem natürlichen Geschlecht (Sexus) zu tun. Sprachwissenschaftler nennen es generisches Maskulinum, wenn ein grammatisch männliches Wort sowohl Frauen als auch Männer bezeichnet, weil das biologische Geschlecht unbekannt oder irrelevant ist. Das generische Maskulinum ist geschlechtsneutral!

Am Beispiel:
"Eine Gruppe von Wissenschaftlern" – die Formulierung schließt Frauen nicht etwa aus. Natürlich können in der Gruppe auch Frauen sein. So wie "die Führungskraft" vom grammatischen Geschlecht her weiblich ist, aber dennoch keine Frau sein muss.

Feministinnen vertreten die Meinung, dass "die Frauen" es satt hätten, "mitgemeint" zu sein. Sprache helfe dabei, Ungleichheit zu verfestigen. Im Ergebnis der Weltverbesserung durch Sprachvorschriften können Texte entstehen, die zwar nach feministischer Auffassung geschlechtergerecht sind, aber ansonsten so sperrig, dass sie niemand freiwillig liest. Und Sie wollen ja gelesen werden! Andererseits fühlen sich subjektiv vielleicht tatsächlich Leserinnen nicht angesprochen, auch wenn das generische Maskulinum objektiv niemanden ausschließt. Damit das Ihren Texten nicht passiert, empfehle ich: Gehen Sie mit Augenmaß vor.
 
Am Beispiel:
Wenn zu Ihrer Veranstaltung 120 Kunden erschienen sind, ist es vermutlich unsinnig, von "120 Kundinnen und Kunden" zu schreiben, die vielleicht gar von "15 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen" betreut wurden. Die zusätzlichen Formulierungen blähen den Text auf und haben für den Leser keinerlei Nutzen.
 
Wenn das biologische Geschlecht hingegen hingegen die Verständlichkeit Ihres Textes fördert oder sonstwie relevant für den Inhalt ist: Nennen Sie es.
 
Am Beispiel:
"Viele halten den PC-Support für eine rein männliche Domäne. Zu Unrecht, wie eine Stichprobe im User Help Desk in Musterstadt ergeben hat: Unter den 103 Support-Spezialisten waren 49 Frauen."
Wenn die eingangs genannte "Gruppe von Wissenschaftlern" nur aus Frauen bestehen sollte, schreiben Sie natürlich "eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen". Und wenn es für den Tenor Ihres Artikels wichtig ist, wie viele Männer und Frauen in der Gruppe waren, können Sie natürlich auch das schreiben.
 
Manchmal ist es auch schlicht ein Gebot der Höflichkeit, beide biologische Geschlechter zu nennen. Zum Beispiel in einer Anrede der "lieben Leserinnen und Leser".
 
Also: Schreiben Sie mit Augenmaß. Und seien Sie darauf gefasst, dass in ideologisch aufgeladenen Gender-Mainstreaming-Diskussionen eben jenes leicht verloren geht. Wenn Sie ein ganzes Medium redaktionell betreuen, bietet sich ein Hinweis im Impressum an, dass Sie aus Gründen der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichten.